Wie Phönix aus der Asche

Oft ist man auf der Fahrt an die Adria schon an Venzone vorbeigefahren. Doch stehenbleiben lohnt sich, denn das malerische Städtchen am Tagliamento zählt zu den schönsten Orten Italiens, das nach einem verheerenden Erdbeben wieder originalgetreu aufgebaut wurde.
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Das mittelalterliche Städtchen Venzone ist komplett von einer Ringmauer umgeben und war schon immer eine wichtige Station am Weg in den Norden.

Es ist der 6. Mai 1976, neun Uhr am Abend. Familien sitzen noch beim Abendessen, Freunde treffen sich auf ein Tajùt Wein in der Bar, Pärchen spazieren durch die malerischen Gassen … Plötzlich ein lautes Grollen und die Erde beginnt zu beben, mit einer nie dagewesenen Wucht von 6,4 auf der Richterskala. Nur eine Minute lang, aber die Zerstörung ist enorm und viele Menschen finden den Tod. Venzone wurde besonders schwer getroffen. Die mittelalterliche Doppelmauer, die das Städtchen umschließt, konnte es diesmal auch nicht schützen. Noch hatten die Wunden nicht einmal zu heilen begonnen, da bebte die Erde Mitte September erneut – und zerstörte vollends, was im Mai nur beschädigt wurde. Nach Schmerz, Angst und Wut folgte der Wiederaufbau und zehn Jahre später war Venzone nach alten Bildern und Mauersteinen wieder errichtet „dov’era e com‘era“ – wo es war und wie es war.

Der Ort mit seinen romantischen Gassen ist heute beliebter Stopp am Alpe-Adria-Radweg.

Der Ort mit seinen romantischen Gassen ist heute beliebter Stopp am Alpe-Adria-Radweg.

Die zweite Hauptkirche, San Giovanni Battista, wurde nicht wieder aufgebaut und blieb als Mahnmahl erhalten.

Die zweite Hauptkirche, San Giovanni Battista, wurde nicht wieder aufgebaut und blieb als Mahnmahl erhalten.

Andere Welt
Bei einem Spaziergang durch die Altstadt sind die Spuren der Naturkatastrophe noch immer allgegenwärtig, doch die Lebensfreude unter den Bewohnern ist zurückgekehrt und es geht genauso fröhlich und geschäftig zu wie in anderen italienischen Orten. Vor allem am Sonntag, wenn die Autos vor den Stadtmauern bleiben müssen, ist es hier besonders schön. Wir parken auch an einem Samstag lieber draußen und schreiten auf der Steinbrücke über den breiten Graben durch das imposante Stadttor, Porta San Genesio, mit dem Wehrturm aus dem 14. Jahrhundert. Über eine gepflasterte Gasse ist man gleich am Rathausplatz, Piazza Municipio, mit dem gotischen Rathauspalast, Palazzo Comunale, der mit seiner Loggia und bemalten Holzdecke beeindruckt. Hier gibt es eine kleine Fotoausstellung mit Vorher-Nachher-Bildern des Erdbebens. Wer mehr darüber erfahren möchte, sollte unbedingt das Museum „Tiere Motus“ besuchen, das im Palazzo Orgnani Martina untergebracht ist. Besonders beeindruckend ist die 3D-Simulation des Zusammenbruchs des Domes.

Neben dem Dom liegt die Kapelle, in der man echte Mumien sehen kann.

Neben dem Dom liegt die Kapelle, in der man echte Mumien sehen kann.

Echte Mumien
Den Dom, der Sant‘ Andrea Apostolo geweiht ist, finden wir wenige hundert Meter südlich, er gilt als Symbol des Wiederaufbaues. Gleich daneben steht die Capella di S. Michele mit der größten Attraktion von Venzone, den Mumien. Diese wurden nicht eigens präpariert, sondern ein parasitärer Pilz verhinderte den Verwesungsprozess.

Ganz Venzone duftet nach Lavendel, der hier in der Umgebung angebaut wird.

Ganz Venzone duftet nach Lavendel, der hier in der Umgebung angebaut wird.

Duft der Carnia
Kulinarisch gesehen muss man die Spezialität der Carnia, wie das Gebiet in den Karnischen Alpen heißt, probieren: Cjarsons. Dabei handelt es sich um kleine Teigtaschen, die mit Kartoffeln, Topfen, Kräutern, Kakao und Zimt gefüllt sind. Etwas süßlich, aber sehr schmackhaft. Das Ristorante Alle Scaligere hat eine eigene Nudelmanufaktur, wo man Cjarsons zum Genießen für daheim kaufen kann. Gleich ein paar Meter weiter, im ältesten Gebäude des Ortes, befindet sich die urige Osteria Marcurele, die uns von Einheimischen sehr ans Herz gelegt wurde. Wirt Pierluigi bringt den Duft der Carnia auf den Teller, geht die Wildkräuter dafür selbst sammeln und ist stolz auf seinen Garten mit essbaren Blüten. Gut isst man auch in der Locanda al Municipio, wo ein weiteres typisches Gericht, Frico Friulano, auf der Karte steht: ein gebratener Kartoffel-Käsefladen mit knusprigem Bauchspeck serviert.

Muss man probieren: Selbstgemachte Teigtaschen „Cjarson“ und Tagliatelle mit Radicchio und Prosciutto.

Muss man probieren: Selbstgemachte Teigtaschen „Cjarson“ und Tagliatelle mit Radicchio und Prosciutto.

Unser Tipp: Verzichten Sie auf den Nachtisch im Restaurant, sondern gehen Sie lieber in die Pasticceria & Gelateria D‘ Altri Tempi am Rathausplatz. Hier ist nämlich das süße „Atelier“ von Vincenzo Aiello, wo der gebürtige Napoletaner Mehlspeisen „von Süd bis Nord“, Pralinen und Gelati in Handarbeit herstellt. Nette Mitbringsel findet man im kleinen Lavendelladen – Venzone ist auch für diese duftende Pflanze bekannt. Und wer Lust hat, einmal ins Mittelalter einzutauchen, der sollte das Kürbisfest besuchen, das an jedem vierten Wochenende im Oktober stattfindet. Wir haben uns das Datum schon notiert.

In der Konditorei von Maria und Vincenzo kommen Schleckermäulchen auf ihre Rechnung.

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